Forschungszentrum Jülich

Jülich: Den optimalen Reifen wünschen sich nicht nur Formel-1-Fahrer. Rutschsicher, abriebfest und langsam im Verschleiß – das sollen die Gummimischungen leisten. Gleichzeitig darf der Rollwiderstand aber nicht zu groß sein, um den Spritverbrauch niedrig zu halten. Der Jülicher Forscher Dr. Bo Persson arbeitet seit gut 20 Jahren daran, das Phänomen der Reibung von Gummi theoretisch zu erklären. Im Fachmagazin "Journal of Chemical Physics" berichten er und seine Kollegen nun über einen weiteren Effekt, der dabei eine Rolle spielt.

"Bisher berücksichtigen Reifenhersteller bei Vorhersagen zur Reifenhaftung hauptsächlich einen Aspekt: die Viskoelastizität. Das ist die Verformung des Reifens, verursacht durch Unebenheiten des Straßenbelags", sagt Persson vom Jülicher Peter Grünberg Institut, Bereich Quanten-Theorie der Materialien (PGI-1/IAS-1), "aber diese Vorhersagen spiegeln nicht die Realität wider." Persson hat daher in sein theoretisches Modell zur Gummireibung einen weiteren Aspekt mit einbezogen, die sogenannte Scherung. Sie wirkt dort, wo der Gummi direkten Kontakt mit der Oberfläche hat und beeinflusst ebenfalls die Reibung. Auf molekularer Ebene können verschiedene Prozesse zu ihr beitragen: Gummimoleküle, die kurzfristig an der Oberfläche haften, harte Füllstoffe in der Gummimischung – zum Beispiel Ruß oder Silikate – die über die Oberfläche schleifen, aber auch Risse und Abnutzungen im Reifenmaterial.

"Wir haben zunächst die Bindung der Gummimoleküle berücksichtigt", sagt Persson, "dieser Prozess sollte aus unseren Erfahrungen den größten Einfluss bei der Scherung haben." Für drei Gummimischungen testeten die Forscher ihr erweitertes Rechenmodell: die typische Mischung eines Sommer-, eines Allwetter- und eines Winterreifens. Kleine Blöcke dieser Materialien zogen sie über zwei verschiedene Arten von Asphalt und Sandpapier mit einer Geschwindigkeit von maximal einem Millimeter pro Sekunde. "Durch die langsame Bewegung haben wir ausgeschlossen, dass die Reibungswärme unser Ergebnis beeinflusst", sagt Persson. "Gummireibung ist sehr komplex, daher wollten wir die neue Theorie zunächst unter sehr einfachen Bedingungen testen."

Für verschiedene Zuggeschwindigkeiten und Temperaturen beschreibt das neue Modell die experimentell beobachtete Reibung sehr gut. "Das stützt unsere Annahme, dass die kurzzeitige Haftung der Gummimoleküle auf molekularer Ebene entscheidend zur Scherkraft beiträgt", sagt Persson. Bei Kontakt des Gummiblocks mit der Oberfläche haften die zunächst verknäulten Gummimoleküle dort. Wird der Gummiblock weitergezogen, dehnen sich die Moleküle ähnlich einem Gummiband, das man an einem Ende festhält – bis sie schließlich wieder abreißen, zu einem Knäuel zusammenschnurren und erneut haften können.

Dieser Mechanismus wird auch bestätig durch die Abhängigkeit der Scherung von Temperatur und Zuggeschwindigkeit: Bei hoher Temperatur oder kleiner Zuggeschwindigkeit haften die Gummimoleküle kaum – der Scherbeitrag zur Reibung ist gering. Gleiches gilt für sehr niedrige Temperaturen oder hohe Zuggeschwindigkeit. Der Grund dafür ist die thermische Bewegung der Gummimoleküle, also ihre mikroskopische Beweglichkeit in der nach außen hin festen Gummimischung. Bei hohen Temperaturen bewegen sich die Moleküle zu stark, um an der Oberfläche zu haften, bei niedrigen Temperaturen bewegen sie sich zu langsam. In beiden Fällen ist die Zeit, in der sie Kontakt mit der Oberfläche haben, zu kurz, um anzuhaften.

"Natürlich gelten unsere Ergebnisse zunächst für idealisierte Bedingungen, also trockene, saubere Oberflächen", sagt Persson. Bei nassen Straßen sollte die Scherkraft beispielsweise nur eine geringe Rolle spielen, da der Wasserfilm den Kontakt der Gummimoleküle mit der Asphaltoberfläche verhindert. "Aber das Modell zeigt den Weg, welche Faktoren bei der Vorhersage der perfekten Gummimischung eine Rolle spielen können und was auf molekularer Ebene bei der Reibung passiert."

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